Siebentes Hauptstueck.
Weib und Kind.
377.
Das vollkommene Weib. - Das vollkommene Weib ist ein hoeherer Typus
des Menschen, als der vollkommene Mann: auch etwas viel Selteneres.
- Die Naturwissenschaft der Thiere bietet ein Mittel, diesen Satz
wahrscheinlich zu machen.
378.
Freundschaft und Ehe. - Der beste Freund wird wahrscheinlich die beste
Gattin bekommen, weil die gute Ehe auf dem Talent zur Freundschaft
beruht.
379.
Fortleben der Eltern. - Die unaufgeloesten Dissonanzen im Verhaeltniss
von Charakter und Gesinnung der Eltern klingen in dem Wesen des Kindes
fort und machen seine innere Leidensgeschichte aus.
380.
Von der Mutter her. - Jedermann traegt ein Bild des Weibes von der
Mutter her in sich: davon wird er bestimmt, die Weiber ueberhaupt zu
verehren oder sie geringzuschaetzen oder gegen sie im Allgemeinen
gleichgueltig zu sein.
381.
Die Natur corrigiren. - Wenn man keinen guten Vater hat, so soll man
sich einen anschaffen.
382.
Vaeter und Soehne. - Vaeter haben viel zu thun, um es wieder gut zu
machen, dass sie Soehne haben.
383.
Irrthum vornehmer Frauen. - Die vornehmen Frauen denken, dass eine
Sache gar nicht da ist, wenn es nicht moeglich ist, von ihr in der
Gesellschaft zu sprechen.
384.
Eine Maennerkrankheit. - Gegen die Maennerkrankheit der
Selbstverachtung hilft es am sichersten, von einem klugen Weibe
geliebt zu werden.
385.
Eine Art der Eifersucht. - Muetter sind leicht eifersuechtig auf die
Freunde ihrer Soehne, wenn diese besondere Erfolge haben. Gewoehnlich
liebt eine Mutter sich mehr in ihrem Sohn, als den Sohn selber.
386.
Vernuenftige Unvernunft. - In der Reife des Lebens und des Verstandes
ueberkommt den Menschen das Gefuehl, dass sein Vater Unrecht hatte,
ihn zu zeugen.
387.
Muetterliche Guete. - Manche Mutter braucht glueckliche geehrte
Kinder, manche unglueckliche: sonst kann sich ihre Guete als Mutter
nicht zeigen.
388.
Verschiedene Seufzer. - Einige Maenner haben ueber die Entfuehrung
ihrer Frauen geseufzt, die meisten darueber, dass Niemand sie ihnen
entfuehren wollte.
389.
Liebesheirathen. - Die Ehen, welche aus Liebe geschlossen werden (die
sogenannten Liebesheirathen), haben den Irrthum zum Vater und die Noth
(das Beduerfniss) zur Mutter.
390.
Frauenfreundschaft. - Frauen koennen recht gut mit einem Manne
Freundschaft schliessen; aber um diese aufrecht zu erhalten - dazu
muss wohl eine kleine physische Antipathie mithelfen.
391.
Langeweile. - Viele Menschen, namentlich Frauen, empfinden die
Langeweile nicht, weil sie niemals ordentlich arbeiten gelernt haben.
392.
Ein Element der Liebe. - In jeder Art der weiblichen Liebe kommt auch
Etwas von der muetterlichen Liebe zum Vorschein.
393.
Die Einheit des Ortes und das Drama. - Wenn die Ehegatten nicht
beisammen lebten, wuerden die guten Ehen haeufiger sein.
394.
Gewoehnliche Folgen der Ehe. - Jeder Umgang, der nicht hebt, zieht
nieder, und umgekehrt; desshalb sinken gewoehnlich die Maenner etwas,
wenn sie Frauen nehmen, waehrend die Frauen etwas gehoben werden.
Allzu geistige Maenner beduerfen eben so sehr der Ehe, als sie ihr wie
einer widrigen Medicin widerstreben.
395.
Befehlen lehren. - Kinder aus bescheidenen Familien muss man eben
so sehr das Befehlen durch Erziehung lehren, wie andere Kinder das
Gehorchen.
396.
Verliebt werden wollen. - Verlobte, welche die Convenienz
zusammengefuegt hat, bemuehen sich haeufig, verliebt zu werden,
um ueber den Vorwurf der kalten, berechnenden Nuetzlichkeit
hinwegzukommen. Ebenso bemuehen sich Solche, die ihres Vortheils wegen
zum Christenthum umlenken, wirklich fromm zu werden; denn so wird das
religioese Mienenspiel ihnen leichter.
397.
Kein Stillstand in der Liebe. - Ein Musiker, der das langsame Tempo
liebt, wird die selben Tonstuecke immer langsamer nehmen. So giebt es
in keiner Liebe ein Stillstehen.
398.
Schamhaftigkeit. - Mit der Schoenheit der Frauen nimmt im Allgemeinen
ihre Schamhaftigkeit zu.
399.
Ehe von gutem Bestand. - Eine Ehe, in der Jedes durch das Andere ein
individuelles Ziel erreichen will, haelt gut zusammen, zum Beispiel
wenn die Frau durch den Mann beruehmt, der Mann durch die Frau beliebt
werden will.
400.
Proteus-Natur.- Weiber werden aus Liebe ganz zu dem, als was sie in
der Vorstellung der Maenner, von denen sie geliebt werden, leben.
401.
Lieben und besitzen. - Frauen lieben meistens einen bedeutenden
Mann so, dass sie ihn allein haben wollen. Sie wuerden ihn gern in
Verschluss legen, wenn nicht ihre Eitelkeit widerriethe: diese will,
dass er auch vor Anderen bedeutend erscheine.
402.
Probe einer guten Ehe. - Die Guete einer Ehe bewaehrt sich dadurch,
dass sie einmal eine "Ausnahme" vertraegt.
403.
Mittel, Alle zu Allem zu bringen. - Man kann Jedermann so durch
Unruhen, Aengste, Ueberhaeufung von Arbeit und Gedanken abmatten und
schwach machen, dass er einer Sache, die den Schein des Complicirten
hat, nicht mehr widersteht, sondern ihr nachgiebt, - das wissen die
Diplomaten und die Weiber.
404.
Ehrbarkeit und Ehrlichkeit. - Jene Maedchen, welche allein ihrem
Jugendreize die Versorgung fuer's ganze Leben verdanken wollen und
deren Schlauheit die gewitzigten Muetter noch souffliren, wollen ganz
das Selbe wie die Hetaeren, nur dass sie klueger und unehrlicher als
diese sind.
405.
Masken. - Es giebt Frauen, die, wo man bei ihnen auch nachsucht, kein
Inneres haben, sondern reine Masken sind. Der Mann ist zu beklagen,
der sich mit solchen fast gespenstischen, nothwendig unbefriedigenden
Wesen einlaesst, aber gerade sie vermoegen das Verlangen des Mannes
auf das staerkste zu erregen: er sucht nach ihrer Seele - und sucht
immer fort.
406.
Die Ehe als langes Gespraech. - Man soll sich beim Eingehen einer Ehe
die Frage vorlegen: glaubst du, dich mit dieser Frau bis in's Alter
hinein gut zu unterhalten? Alles Andere in der Ehe ist transitorisch,
aber die meiste Zeit des Verkehrs gehoert dem Gespraeche an.
407.
Maedchentraeume. - Unerfahrene Maedchen schmeicheln sich mit der
Vorstellung, dass es in ihrer Macht stehe, einen Mann gluecklich zu
machen; spaeter lernen sie, dass es so viel heisst als: einen Mann
geringschaetzen, wenn man annimmt, dass es nur eines Maedchens
beduerfe, um ihn gluecklich zu machen. - Die Eitelkeit der Frauen
verlangt, dass ein Mann mehr sei, als ein gluecklicher Gatte.
408.
Aussterben von Faust und Gretchen. - Nach der sehr einsichtigen
Bemerkung eines Gelehrten aehneln die gebildeten Maenner des
gegenwaertigen Deutschland einer Mischung von Mephistopheles und
Wagner, aber durchaus nicht Fausten: welchen die Grossvaeter (in ihrer
Jugend wenigstens) in sich rumoren fuehlten. Zu ihnen passen also - um
jenen Satz fortzusetzen - aus zwei Gruenden die Gretchen nicht. Und
weil sie nicht mehr begehrt werden, so sterben sie, scheint es, aus.
409.
Maedchen als Gymnasiasten. - Um Alles in der Welt nicht noch unsere
Gymnasialbildung auf die Maedchen uebertragen! Sie, die haeufig aus
geistreichen, wissbegierigen, feurigen jungen - Abbilder ihrer Lehrer
macht!
410.
Ohne Nebenbuhlerinnen. - Frauen merken es einem Manne leicht an,
ob seine Seele schon in Besitz genommen ist; sie wollen ohne
Nebenbuhlerinnen geliebt sein und verargen ihm die Ziele seines
Ehrgeizes, seine politischen Aufgaben, seine Wissenschaften und
Kuenste, wenn er eine Leidenschaft zu solchen Sachen hat. Es sei denn,
dass er durch diese glaenze, - dann erhoffen sie, im Falle einer
Liebesverbindung mit ihm, zugleich einen Zuwachs ihres Glanzes; wenn
es so steht, beguenstigen sie den Liebhaber.
411.
Der weibliche Intellect. - Der Intellect der Weiber zeigt sich als
vollkommene Beherrschung, Gegenwaertigkeit des Geistes, Benutzung
aller Vortheile. Sie vererben ihn als ihre Grundeigenschaft auf ihre
Kinder, und der Vater giebt den dunkleren Hintergrund des Willens
dazu. Sein Einfluss bestimmt gleichsam Rhythmus und Harmonie, mit
denen das neue Leben abgespielt werden soll; aber die Melodie
desselben stammt vom Weibe. - Fuer Solche gesagt, welche Etwas sich
zurecht zu legen wissen: die Weiber haben den Verstand, die Maenner
das Gemueth und die Leidenschaft. Dem widerspricht nicht, dass die
Maenner thatsaechlich es mit ihrem Verstande so viel weiterbringen:
sie haben die tieferen, gewaltigeren Antriebe; diese tragen ihren
Verstand, der an sich etwas Passives ist, so weit. Die Weiber wundern
sich im Stillen oft ueber die grosse Verehrung, welche die Maenner
ihrem Gemuethe zollen. Wenn die Maenner vor Allem nach einem
tiefen, gemuethvollen Wesen, die Weiber aber nach einem klugen,
geistesgegenwaertigen und glaenzenden Wesen bei der Wahl ihres
Ehegenossen suchen, so sieht man im Grunde deutlich, wie der Mann nach
dem idealisirten Manne, das Weib nach dem idealisirten Weibe sucht,
also nicht nach Ergaenzung, sondern nach Vollendung der eigenen
Vorzuege.
412.
Ein Urtheil Hesiod's bekraeftigt. - Ein Zeichen fuer die Klugheit
der Weiber ist es, dass sie es fast ueberall verstanden haben, sich
ernaehren zu lassen, wie Drohnen im Bienenkorbe. Man erwaege doch, was
das aber urspruenglich bedeuten will und warum die Maenner sich nicht
von den Frauen ernaehren lassen. Gewiss weil die maennliche Eitelkeit
und Ehrsucht groesser als die weibliche Klugheit ist; denn die Frauen
haben es verstanden, sich durch Unterordnung doch den ueberwiegenden
Vortheil, ja die Herrschaft zu sichern. Selbst das Pflegen der Kinder
koennte urspruenglich von der Klugheit der Weiber als Vorwand benutzt
sein, um sich der Arbeit moeglichst zu entziehen. Auch jetzt noch
verstehen sie, wenn sie wirklich thaetig sind, zum Beispiel als
Haushaelterinnen, davon ein sinnverwirrendes Aufheben zu machen:
so dass von den Maennern das Verdienst ihrer Thaetigkeit zehnfach
ueberschaetzt zu werden pflegt.
413.
Die Kurzsichtigen sind verliebt. - Mitunter genuegt schon eine
staerkere Brille, um den Verliebten zu heilen; und wer die Kraft der
Einbildung haette, um ein Gesicht, eine Gestalt sich zwanzig Jahre
aelter vorzustellen, gienge vielleicht sehr ungestoert durch das
Leben.
414.
Frauen im Hass. - Im Zustande des Hasses sind Frauen gefaehrlicher,
als Maenner; zuvoerderst weil sie durch keine Ruecksicht auf
Billigkeit in ihrer einmal erregten feindseligen Empfindung gehemmt
werden, sondern ungestoert ihren Hass bis zu den letzten Consequenzen
anwachsen lassen, sodann weil sie darauf eingeuebt sind, wunde Stellen
(die jeder Mensch, jede Partei hat) zu finden und dort hinein zu
stechen: wozu ihnen ihr dolchspitzer Verstand treffliche Dienste
leistet (waehrend die Maenner beim Anblick von Wunden zurueckhaltend,
oft grossmuethig und versoehnlich gestimmt werden).
415.
Liebe. - Die Abgoetterei, welche die Frauen mit der Liebe treiben,
ist im Grunde und urspruenglich eine Erfindung der Klugheit, insofern
sie ihre Macht durch alle jene Idealisirungen der Liebe erhoehen und
sich in den Augen der Maenner als immer begehrenswerther darstellen.
Aber durch die Jahrhundertelange Gewoehnung an diese uebertriebene
Schaetzung der Liebe ist es geschehen, dass sie in ihr eigenes Netz
gelaufen sind und jenen Ursprung vergessen haben. Sie selber sind
jetzt noch mehr die Getaeuschten, als die Maenner, und leiden desshalb
auch mehr an der Enttaeuschung, welche fast nothwendig im Leben jeder
Frau eintreten wird - sofern sie ueberhaupt Phantasie und Verstand
genug hat, um getaeuscht und enttaeuscht werden zu koennen.
416.
Zur Emancipation der Frauen. - Koennen die Frauen ueberhaupt gerecht
sein, wenn sie so gewohnt sind, zu lieben, gleich fuer oder wider
zu empfinden? Daher sind sie auch seltener fuer Sachen, mehr fuer
Personen eingenommen: sind sie es aber fuer Sachen, so werden sie
sofort deren Parteigaenger und verderben damit die reine unschuldige
Wirkung derselben. So entsteht eine nicht geringe Gefahr, wenn ihnen
die Politik und einzelne Theile der Wissenschaft anvertraut werden
(zum Beispiel Geschichte). Denn was waere seltener, als eine Frau,
welche wirklich wuesste, was Wissenschaft ist? Die besten naehren
sogar im Busen gegen sie eine heimliche Geringschaetzung, als ob sie
irgend wodurch ihr ueberlegen waeren. Vielleicht kann diess Alles
anders werden, einstweilen ist es so.
417.
Die Inspiration im Urtheile der Frauen. - Jene ploetzlichen
Entscheidungen ueber das Fuer und Wider, welche Frauen zu geben
pflegen, die blitzschnellen Erhellungen persoenlicher Beziehungen
durch ihre hervorbrechenden Neigungen und Abneigungen, kurz die
Beweise der weiblichen Ungerechtigkeit sind von liebenden Maennern
mit einem Glanz umgeben worden, als ob alle Frauen Inspirationen
von Weisheit haetten, auch ohne den delphischen Kessel und die
Lorbeerbinde: und ihre Aussprueche werden noch lange nachher wie
sibyllinische Orakel interpretirt und zurechtgelegt. Wenn man aber
erwaegt, dass fuer jede Person, fuer jede Sache sich etwas geltend
machen laesst, aber ebenso gut auch Etwas gegen sie, dass alle Dinge
nicht nur zwei-, sondern drei- und vierseitig sind, so ist es beinahe
Schwer, mit solchen ploetzlichen Entscheidungen gaenzlich fehl
zu greifen; ja man koennte sagen: die Natur der Dinge ist so
eingerichtet, dass die Frauen immer Recht behalten.
418.
Sich lieben lassen. - Weil die eine von zwei liebenden Personen
gewoehnlich die liebende, die andere die geliebte Person ist, so
ist der Glaube entstanden, es gaebe in jedem Liebeshandel ein
gleichbleibendes Maass von Liebe: je mehr eine davon an sich reisse,
um so weniger bleibe fuer die andere Person uebrig. Ausnahmsweise
kommt es vor, dass die Eitelkeit jede der beiden Personen ueberredet,
sie sei die, welche geliebt werden muesse; so dass sich beide lieben
lassen wollen: woraus sich namentlich in der Ehe mancherlei halb
drollige, halb absurde Scenen ergeben.
419.
Widersprueche in weiblichen Koepfen. - Weil die Weiber so viel mehr
persoenlich als sachlich sind, vertragen sich in ihrem Gedankenkreise
Richtungen, die logisch mit einander in Widerspruch sind: sie pflegen
sich eben fuer die Vertreter dieser Richtungen der Reihe nach zu
begeistern und nehmen deren Systeme in Bausch und Bogen an; doch
so, dass ueberall dort eine todte Stelle entsteht, wo eine neue
Persoenlichkeit spaeter das Uebergewicht bekommt. Es kommt vielleicht
vor, dass die ganze Philosophie im Kopf einer alten Frau aus lauter
solchen todten Stellen besteht.
420.
Wer leidet mehr? - Nach einem persoenlichen Zwiespalt und Zanke
zwischen einer Frau und einem Manne leidet der eine Theil am meisten
bei der Vorstellung, dem anderen Wehe gethan zu haben; waehrend jener
am meisten bei der Vorstellung leidet, dem andern nicht genug Wehe
gethan zu haben, wesshalb er sich bemueht, durch Thraenen, Schluchzen
und verstoerte Mienen, ihm noch hinterdrein das Herz schwer zu machen.
421.
Gelegenheit zu weiblicher Grossmuth. - Wenn man sich ueber die
Ansprueche der Sitte einmal in Gedanken hinwegsetzt, so koennte man
wohl erwaegen, ob nicht Natur und Vernunft den Mann auf mehrfache
Verheirathung nach einander anweist, etwa in der Gestalt, dass er
zuerst im Alter von zwei und zwanzig Jahren ein aelteres Maedchen
heirathet, das ihm geistig und sittlich ueberlegen ist und seine
Fuehrerin durch die Gefahren der zwanziger Jahre (Ehrgeiz, Hass,
Selbstverachtung, Leidenschaften aller Art) werden kann. Die Liebe
dieser wuerde spaeter ganz in das Muetterliche uebertreten, und sie
ertruege es nicht nur, sondern foerderte es auf die heilsamste Weise,
wenn der Mann in den dreissiger Jahren mit einem ganz jungen Maedchen
eine Verbindung eingienge, dessen Erziehung er selber in die Hand
naehme. - Die Ehe ist fuer die zwanziger Jahre einnoethiges, fuer die
dreissiger ein nuetzliches, aber nicht noethiges Institut: fuer das
spaetere Leben wird sie oft schaedlich und befoerdert die geistige
Rueckbildung des Mannes.
422.
Tragoedie der Kindheit. - Es kommt vielleicht nicht selten vor,
dass edel- und hochstrebende Menschen ihren haertesten Kampf in der
Kindheit zu bestehen haben: etwa dadurch, dass sie ihre Gesinnung
gegen einen niedrig denkenden, dem Schein und der Luegnerei ergebenen
Vater durchsetzen muessen, oder fortwaehrend, wie Lord Byron, im
Kampfe mit einer kindischen und zornwuethigen Mutter leben. Hat man so
Etwas erlebt, so wird man sein Leben lang es nicht verschmerzen, zu
wissen, wer Einem eigentlich der groesste, der gefaehrlichste Feind
gewesen ist.
423.
Eltern-Thorheit. - Die groebsten Irrthuemer in der Beurtheilung eines
Menschen werden von dessen Eltern gemacht: diess ist eine Thatsache,
aber wie soll man sie erklaeren? Haben die Eltern zu viele Erfahrung
von dem Kinde und koennen sie diese nicht mehr zu einer Einheit
zusammenbringen? Man bemerkt, dass Reisende unter fremden Voelkern nur
in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes die allgemeinen unterscheidenden
Zuege eines Volkes richtig erfassen; je mehr sie das Volk kennen
lernen, desto mehr verlernen sie, das Typische und Unterscheidende an
ihm zu sehen. Sobald sie nah-sichtig werden, hoeren ihre Augen auf,
fern-sichtig zu sein. Sollten die Eltern desshalb falsch ueber das
Kind urtheilen, weil sie ihm nie fern genug gestanden haben? - Eine
ganz andere Erklaerung waere folgende: die Menschen pflegen ueber das
Naechste, was sie umgiebt, nicht mehr nachzudenken, sondern es nur
hinzunehmen. Vielleicht ist die gewohnheitsmaessige Gedankenlosigkeit
der Eltern der Grund, wesshalb sie, einmal genoethigt ueber ihre
Kinder zu urtheilen, so schief urtheilen.
424.
Aus der Zukunft der Ehe. - Jene edlen, freigesinnten Frauen, welche
die Erziehung und Erhebung des weiblichen Geschlechtes sich zur
Aufgabe stellen, sollen einen Gesichtspunct nicht uebersehen: die Ehe
in ihrer hoeheren Auffassung gedacht, als Seelenfreundschaft zweier
Menschen verschiedenen Geschlechts, also so, wie sie von der Zukunft
erhofft wird, zum Zweck der Erzeugung und Erziehung einer neuen
Generation geschlossen, - eine solche Ehe, welche das Sinnliche
gleichsam nur als ein seltenes, gelegentliches Mittel fuer einen
groesseren Zweck gebraucht, bedarf wahrscheinlich, wie man besorgen
muss, einer natuerlichen Beihuelfe, des Concubinats; denn wenn aus
Gruenden der Gesundheit des Mannes das Eheweib auch zur alleinigen
Befriedigung des geschlechtlichen Beduerfnisses dienen soll, so wird
bei der Wahl einer Gattin schon ein falscher, den angedeuteten Zielen
entgegengesetzter Gesichtspunct maassgebend sein: die Erzielung der
Nachkommenschaft wird zufaellig, die glueckliche Erziehung hoechst
unwahrscheinlich. Eine gute Gattin, welche Freundin, Gehuelfin,
Gebaererin, Mutter, Familienhaupt, Verwalterin sein soll, ja
vielleicht abgesondert von dem Manne ihrem eigenen Geschaeft und Amte
vorzustehen hat, kann nicht zugleich Concubine sein: es hiesse im
Allgemeinen zu viel von ihr verlangen. Somit koennte in Zukunft das
Umgekehrte dessen eintreten, was zu Perikles' Zeiten in Athen sich
begab: die Maenner, welche damals an ihren Eheweibern nicht viel mehr
als Concubinen hatten, wandten sich nebenbei zu den Aspasien, weil
sie nach den Reizen einer kopf- und herzbefreienden Geselligkeit
verlangten, wie eine solche nur die Anmuth und geistige Biegsamkeit
der Frauen zu schaffen vermag. Alle menschlichen Institutionen,
wie die Ehe, gestatten nur einen maessigen Grad von praktischer
Idealisirung, widrigenfalls sofort grobe Remeduren noethig werden.
425.
Sturm- und Drangperiode der Frauen. - Man kann in den drei oder
vier civilisirten Laendern Europa's aus den Frauen durch einige
Jahrhunderte von Erziehung Alles machen, was man will, selbst Maenner,
freilich nicht in geschlechtlichem Sinne, aber doch in jedem anderen
Sinne. Sie werden unter einer solchen Einwirkung einmal alle
maennlichen Tugenden und Staerken angenommen haben, dabei allerdings
auch deren Schwaechen und Laster mit in den Kauf nehmen muessen: so
viel, wie gesagt, kann man erzwingen. Aber wie werden wir den dadurch
herbeigefuehrten Zwischenzustand aushalten, welcher vielleicht selber
ein paar Jahrhunderte dauern kann, waehrend denen die weiblichen
Narrheiten und Ungerechtigkeiten, ihr uraltes Angebinde, noch die
Uebermacht ueber alles Hinzugewonnene, Angelernte behaupten? Diese
Zeit wird es sein, in welcher der Zorn den eigentlich maennlichen
Affect ausmacht, der Zorn darueber, dass alle Kuenste und
Wissenschaften durch einen unerhoerten Dilettantismus ueberschwemmt
und verschlammt sind, die Philosophie durch sinnverwirrendes
Geschwaetz zu Tode geredet, die Politik phantastischer und
parteiischer als je, die Gesellschaft in voller Aufloesung ist, weil
die Bewahrerinnen der alten Sitte sich selber laecherlich geworden und
in jeder Beziehung ausser der Sitte zu stehen bestrebt sind. Hatten
naemlich die Frauen ihre groesste Macht in der Sitte, wonach
werden sie greifen muessen, um eine aehnliche Fuelle der Macht
wiederzugewinnen, nachdem sie die Sitte aufgegeben haben?
426.
Freigeist und Ehe. - Ob die Freigeister mit Frauen leben werden? Im
Allgemeinen glaube ich, dass sie, gleich den wahrsagenden Voegeln des
Alterthums, als die Wahrdenkenden, Wahrheit-Redenden der Gegenwart es
vorziehen muessen, allein zu fliegen.
427.
Glueck der Ehe. - Alles Gewohnte zieht ein immer fester werdendes Netz
von Spinneweben um uns zusammen; und alsobald merken wir, dass die
Faeden zu Stricken geworden sind und dass wir selber als Spinne in der
Mitte sitzen, die sich hier gefangen hat und von ihrem eigenen Blute
zehren muss. Desshalb hasst der Freigeist alle Gewoehnungen und
Regeln, alles Dauernde und Definitive, desshalb reisst er, mit
Schmerz, das Netz um sich immer wieder auseinander: wiewohl er in
Folge dessen an zahlreichen kleinen und grossen Wunden leiden wird,
- denn jene Faeden muss er von sich, von seinem Leibe, seiner Seele
abreissen. Er muss dort lieben lernen, wo er bisher hasste, und
umgekehrt. Ja es darf fuer ihn nichts Unmoegliches sein, auf das selbe
Feld Drachenzaehne auszusaeen, auf welches er vorher die Fuellhoerner
seiner Guete ausstroemen liess. - Daraus laesst sich abnehmen, ob er
fuer das Glueck der Ehe geschaffen ist.
428.
Zunahe. - Leben wir zu nahe mit einem Menschen zusammen, so geht es
uns so, wie wenn wir einen guten Kupferstich immer wieder mit blossen
Fingern anfassen: eines Tages haben wir schlechtes beschmutztes Papier
und Nichts weiter mehr in den Haenden. Auch die Seele eines Menschen
wird durch bestaendiges Angreifen endlich abgegriffen; mindestens
erscheint sie uns endlich so, - wir sehen ihre urspruengliche
Zeichnung und Schoenheit nie wieder. - Man verliert immer durch den
allzuvertraulichen Umgang mit Frauen und Freunden; und mitunter
verliert man die Perle seines Lebens dabei.
429.
Die goldene Wiege. - Der Freigeist wird immer aufathmen, wenn er sich
endlich entschlossen hat, jenes mutterhafte Sorgen und Bewachen, mit
welchem die Frauen um ihn walten, von sich abzuschuetteln. Was schadet
ihm denn ein rauherer Luftzug, den man so aengstlich von ihm wehrte,
was bedeutet ein wirklicher Nachtheil, Verlust, Unfall, eine
Erkrankung, Verschuldung, Bethoerung mehr oder weniger in seinem
Leben, verglichen mit der Unfreiheit der goldenen Wiege, des
Pfauenschweif-Wedels und der drueckenden Empfindung, noch dazu dankbar
sein zu muessen, weil er wie ein Saeugling gewartet und verwoehnt
wird? Desshalb kann sich die Milch, welche die muetterliche Gesinnung
der ihn umgebenden Frauen reicht, so leicht in Galle verwandeln.
430.
Freiwilliges Opferthier. - Durch Nichts erleichtern bedeutende Frauen
ihren Maennern, falls diese beruehmt und gross sind, das Leben so
sehr, als dadurch dass sie gleichsam das Gefaess der allgemeinen
Ungunst und gelegentlichen Verstimmung der uebrigen Menschen werden.
Die Zeitgenossen pflegen ihren grossen Maennern viel Fehlgriffe und
Narrheiten, ja Handlungen grober Ungerechtigkeit nachzusehen, wenn
sie nur Jemanden finden, den sie als eigentliches Opferthier zur
Erleichterung ihres Gemuethes misshandeln und schlachten duerfen.
Nicht selten findet eine Frau den Ehrgeiz in sich, sich zu dieser
Opferung anzubieten, und dann kann freilich der Mann sehr zufrieden
sein, - falls er naemlich Egoist genug ist, um sich einen solchen
freiwilligen Blitz-, Sturm- und Regenableiter in seiner Naehe gefallen
zu lassen.
431.
Angenehme Widersacher. - Die naturgemaesse Neigung der Frauen zu
ruhigem, gleichmaessigem, gluecklich zusammenstimmendem Dasein und
Verkehren, das Oelgleiche und Beschwichtigende ihrer Wirkungen auf dem
Meere des Lebens, arbeitet unwillkuerlich dem heroischeren inneren
Drange des Freigeistes entgegen. Ohne dass sie es merken, handeln die
Frauen so, als wenn man dem wandernden Mineralogen die Steine vom
Wege nimmt, damit sein Fuss nicht daran stosse, - waehrend er gerade
ausgezogen ist, um daran zu stossen.
432.
Missklang zweier Consonanzen. - Die Frauen wollen dienen und haben
darin ihr Glueck: und der Freigeist will nicht bedient sein und hat
darin sein Glueck.
433.
Xanthippe. - Sokrates fand eine Frau, wie er sie brauchte, - aber auch
er haette sie nicht gesucht, falls er sie gut genug gekannt haette: so
weit waere auch der Heroismus dieses freien Geistes nicht gegangen.
Thatsaechlich trieb ihn Xanthippe in seinen eigenthuemlichen Beruf
immer mehr hinein, indem sie ihm Haus und Heim unhaeuslich und
unheimlich machte: sie lehrte ihn, auf den Gassen und ueberall dort zu
leben, wo man schwaetzen und muessig sein konnte und bildete ihn damit
zum groessten athenischen Gassen-Dialektiker aus: der sich zuletzt
selber mit einer zudringlichen Bremse vergleichen musste, welche dem
schoenen Pferde Athen von einem Gotte auf den Nacken gesetzt sei, um
es nicht zur Ruhe kommen zu lassen.
434.
Fuer die Ferne blind. - Ebenso wie die Muetter eigentlich nur Sinn und
Auge fuer die augen- und sinnfaelligen Schmerzen ihrer Kinder haben,
so vermoegen die Gattinnen hoch strebender Maenner es nicht ueber sich
zu gewinnen, ihre Ehegenossen leidend, darbend und gar missachtet zu
sehen, - waehrend vielleicht alles diess nicht nur die Wahrzeichen
einer richtigen Wahl ihrer Lebenshaltung, sondern schon die
Buergschaften dafuer sind, dass ihre grossen Ziele irgendwann einmal
erreicht werden muessen. Die Frauen intriguiren im Stillen immer gegen
die hoehere Seele ihrer Maenner; sie wollen dieselbe um ihre Zukunft,
zu Gunsten einer schmerzlosen, behaglichen Gegenwart, betruegen.
435.
Macht und Freiheit. - So hoch Frauen ihre Maenner ehren, so ehren sie
doch die von der Gesellschaft anerkannten Gewalten und Vorstellungen
noch mehr: sie sind seit Jahrtausenden gewohnt, vor allem Herrschenden
gebueckt, die Haende auf die Brust gefaltet, einherzugehen und
missbilligen alle Auflehnung gegen die oeffentliche Macht. Desshalb
haengen sie sich, ohne es auch nur zu beabsichtigen, vielmehr wie
aus Instinct, als Hemmschuh in die Raeder eines freigeisterischen
unabhaengigen Strebens und machen unter Umstaenden ihre Gatten aufs
Hoechste ungeduldig, zumal wenn diese sich noch vorreden, dass Liebe
es sei, was die Frauen im Grunde dabei antreibe. Die Mittel der Frauen
missbilligen und grossmuethig die Motive dieser Mittel ehren, - das
ist Maenner-Art und oft genug Maenner-Verzweiflung.
436.
Ceterum censeo. - Es ist zum Lachen, wenn eine Gesellschaft von
Habenichtsen die Abschaffung des Erbrechts decretirt, und nicht minder
zum Lachen ist es, wenn Kinderlose an der praktischen Gesetzgebung
eines Landes arbeiten: - sie haben ja nicht genug Schwergewicht in
ihrem Schiffe, um sicher in den Ocean der Zukunft hineinsegeln zu
koennen. Aber ebenso ungereimt erscheint es, wenn Der, welcher die
allgemeinste Erkenntniss und die Abschaetzung des gesammten Daseins zu
seiner Aufgabe erkoren hat, sich mit persoenlichen Ruecksichten auf
eine Familie, auf Ernaehrung, Sicherung, Achtung von Weib und Kind,
belastet und vor sein Teleskop jenen trueben Schleier aufspannt, durch
welchen kaum einige Strahlen der fernen Gestirnwelt hindurchzudringen
vermoegen. So komme auch ich zu dem Satze, dass in den Angelegenheiten
der hoechsten philosophischen Art alle Verheiratheten verdaechtig
sind.
437.
Zuletzt. - Es giebt mancherlei Arten von S*****ling, und gewoehnlich
findet das Schicksal eine Gelegenheit, dem Freigeiste einen Becher
dieses Giftgetraenkes an die Lippen zu setzen, - um ihn zu "strafen",
wie dann alle Welt sagt. Was thun dann die Frauen um ihn? Sie werden
schreien und wehklagen und vielleicht die Sonnenuntergangs-Ruhe des
Denkers stoeren: wie sie es im Gefaengniss von Athen thaten. "O
Kriton, heisse doch jemanden diese Weiber da fortfuehren!" sagte
endlich Sokrates. -